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Dr. Erich LedererMedizinjournalist/in (Innere Medizin - Schwerpkt Immunologie ) 82008 Unterhaching

 

"Grippeimpfung: Tanz ums Adjuvans

 

Medizinisches Personal, chronisch Kranke und Schwangere sollen die Ersten sein. Der 26. Oktober soll jener Tag sein, an dem sich Deutsche erstmals gegen die pandemische H1N1-Grippe erstmals per Nadelstich schützen können. Die Regierung setzt dabei im Gegensatz etwa zu den USA auf Impfstoffe und Hersteller, die mit neuen Technologien arbeiten.

Autoimmunreaktion als Nebenwirkung?

Rund 50 Millionen Einheiten "Pandemrix" hat der Bund bei GlaxoSmithKline bestellt, ein Impfstoff mit einem neuartigen Adjuvans, das seinen ersten großen Härtetest bei der Pandemieimpfung erlebt. Im Gegensatz zum bereits zugelassenen GSK-Produkt hat "Celtura" von Novartis noch nicht die Freigabe vom Paul-Ehrlich-Institut. Dieser Impfstoff beruht auf die Virenaufzucht in Hundenierenzellen. Von Celtura haben sich die Bundesländer 18 Mio. Dosen gesichert.
Vor einigen Tagen gab die Ständige Impfkommission (StIKo) den Fahrplan für die nächsten Monate heraus. Ein Plan, der nicht ganz unumstritten ist.
Besonders die Wirkverstärker in den beiden Präparaten sind, so befürchten die Kritiker, nicht ausreichend getestet und zu unsicher. Das Adjuvans in Pandemrix heißt AS03 und enthält Squalen, ein Zwischenprodukt der Cholesterinsynthese aus Haifischleber, das Tensid Polysorbat 80 und Vitamin E. In einigen Fällen, so befürchtet die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, könnte das Immunsystem über sein Ziel hinausschießen. Die Folge wären dann möglicherweise nicht nur lokale, sondern auch systemische Autoimmunreaktionen oder gar das Guillain-Barre-Syndrom. Dabei gilt der Angriff der Infektabwehr dem eigenen Nervensystem.
AS03 wurde zwar schon in klinischen Tests bei etwa 40 000 Menschen erprobt, jedoch noch nie in der Routine. Auch MF59, das Adjuvans von Novartis, enthält Squalen und Polysorbat, war jedoch schon mehrfach im klinischen Einsatz bei vorausgegangenen Impfaktionen gegen die wiederkehrende saisonale Grippe. Bei beiden Adjuvantien, so betont das Paul-Ehrlich-Institut, seien keine toxischen Wirkungen zu erwarten.
 
Zur Konservierung von Mehrfachgebinden, wie sie zur Impfung verwendet werden, dient zusätzlich Thiomersal. Die Quecksilberverbindung wird bei den Vakzinen für Kleinkinder schon seit einigen Jahren nicht mehr verwendet. Nach Angaben der europäischen Arzneimittelagentur EMEA sind bis zu fünf Prozent der Bevölkerung gegen die Verbindung allergisch. Deutliche Symptome entwickelt jedoch nur jeder Zehnte dieser Gruppe.

USA: Vorsicht statt Ökonomie

Einen anderen Weg bei der Pandemieimpfung geht die USA. Vor einigen Tagen hat dort bereits die Massenimpfung - per Nasenspray - begonnen. Die Vakzine enthalten keinerlei Adjuvans. Wie groß die Furcht der US-Gesundheitsbehörden vor Komplikationen ist, zeigt sich auch am HPV-Impfstoff Cervarix. Wie Pandemrix enthält auch er ein neuartiges Adjuvans, das stärkere Antworten gegen das Antigen produzieren soll. Im Laufe des Jahres verschob die Zulassungsbehörde FDA immer wieder ihre Entscheidung. Zuletzt wurde fest mit einem "Yes" im September gerechnet - und wieder wurde die Entscheidung vertagt, obwohl die EMEA den Impfstoff bereits 2007 zugelassen hat. Bei der Influenza ist sich die US-Regierung dennoch nicht ganz sicher. Um aber wirklich für Notfälle gerüstet zu sein, hat sie auch MF59 und AS03 für rund 700 Mio. Dollar eingekauft, um sie bei Bedarf zum Impfstoff dazuzumischen.

 
Adjuvantien wie die beiden von Glaxo und Novartis locken auch mit schwachen Antigenen eine nennenswerte Immunreaktion hervor. Denn die heute eingesetzten Impf-Antigene sind meist nur kleine lösliche und hochaufgereinigte Eiweißstückchen. Durch den Einsatz von Adjuvantien ist nur ein Bruchteil der Antigen-Dosis notwendig. Gerade bei einer Pandemie dürfte das ein wichtiges Argument sein. Daher hat sich die Weltgesundheitsorganisation WHO eindeutig für den Einsatz von Adjuvantien ausgesprochen. Zumeist werden die Viren noch in befruchteten Hühnereiern angezogen. Millionen von Eiern bei einem Großauftrag schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen, ist auch ein logistisches Problem. Übrigens: Die geringere Antigenmenge macht die Impfung nicht billiger. Nach Informationen des Arznei-Telegramms für einen Vogelgrippe-Impfstoff im Jahr 2007 mit Gesamtkosten von sieben Euro gehen sechs Euro an die Bereitstellung des Adjuvans. Nicht recht viel anders dürfte die Rechnung für das neun Euro teure H1N1-Vakzin aussehen.

Neue Adjuvantien: Injektion plus Pflaster

Viele Experten sehen in der Adjuvansforschung die Schlüsseltechnologie für die Impfung der Zukunft. Erst in letzter Zeit kamen Forscher darauf, wie die seit 90 Jahren bewährten Aluminiumsalze die Immunantwort bei dendritischen Zellen verstärken. Neue Adjuvantien aktivieren etwa gezielt Toll-like-Rezeptoren des angeborenen Immunsystems, die Bestandteile von Mikroorganismen erkennen. Typisches Beispiel dafür ist AS04, der in Cervarix oder dem Hepatitis B-Impfstoff Fendrix enthalten ist. 

Die österreichische Firma Intercell entwickelt Adjuvantien, die als Pflaster auf die Einstichstelle der Vakzininjektion geklebt werden und die per Langerhans-Zellen das Immunsystem aktivieren. Viele verschiedene Zellen scheinen bei der Verstärkung der Immunantwort am Werk zu sein. Neue Adjuvantien sollen die Zusammenarbeit von Monozyten, eosinophilen und neutrophilen Granulozyten und zuweilen sogar Mastzellen unterstützen, die Antigenpräsentation optimieren und Signale potenzieren.

Schwangere: Keine Experimente bei der Impfung

Während schwangere Frauen nach Erkrankung mit der pandemischen Grippe eine vierfach höhere Komplikationsrate haben, sind sie in den bisher durchgeführten Studien mit den Impfstoffen kaum repräsentiert. Dennoch sollen sie bevorzugt geimpft werden. Allerdings, so empfiehlt die STIKO, sollen die werdenden Mütter erst einmal einen Impfstoff ohne Adjuvans bekommen. Gleichzeitig ist das Bundesgesundheitsministerium mit den Herstellern über weitere klinische Tests mit Schwangeren im Gespräch.
 
In Deutschland geht die Zahl der Neuinfektionen mit H1N1 zurück und liegt im Moment bei rund 850 pro Woche. Ein Bericht des amerikanischen Medizinjournals JAMA Anfang der Woche zeigt jedoch, dass die Krankheit keineswegs harmlos ist und berichtet von einer erschreckenden Ähnlichkeit zur Spanischen Grippe von 1918. Kanadische Ärzte haben dabei die Pandemie-Fälle auf den Intensivstationen dokumentiert. Fast alle Patienten waren zwischen 10 und 60 Jahre alt, relativ gesund und entwickelten bald nach der Einlieferung in die Klinik ein Multi-Organversagen, an dem jeder Siebte innerhalb eines Monats starb. Im Hinblick auf möglicherweise vollbesetzte Intensivstationen sind die Risiken und Kosten der Impfung durchaus vertretbar."