Unser Sterben ist neuerdings in unser Blickfeld gerückt – nachdem wir das Thema lebenslang erfolglos verdrängen konnten.

Denn wir leben inzwischen in einer Welt, in der wir unseren Tod absichern müssen: die Existenz einer Patientenverfügung, die Definition „Hirntod“ und die technische Perfektion einer Intensiv-Medizin stellen uns vor die  makabere Notwendigkeit.

Die Drohung von Illich (1975), der zufolge das Individuum um seinen letzten Freiraum – seinen Tod -kämpfen werde, sind Wirklichkeit geworden.

Und damit haben wir dann die Wahl, ein gänzlich neuer Zustand.

Denn:
Geborenwerden, sterben..das sind keine Krankheiten. Und trotzdem finden Geburt und Tod überwiegend in Krankenhäusern statt.

Und eigentlich hat dabei ein Arzt nichts zu suchen.
Außer: in Rufweite. Geburtshilfe – zum eingreifen, wenn etwas nicht so geht, wie es soll.

Sterbehilfe – auch die gibt’s inzwischen. Leider mit gänzlich anderem Ziel: das Abstellen eines unerträglichen Zustands, den leider allzu oft eben jene Medizin hervorgebracht hat, gegen die wir uns heute absichern müssen.

Sterbehilfe – wie Geburtshilfe verstanden, ist dann möglich, wenn wir das Sterben verstanden haben.

Wir müssen uns von einer medizinischen Auffassung distanzieren, der zufolge jede Krankheit eine Fehler und der Tod eine Panne ist.

Die Homöopathie zeigt sich hier als eine wunderbare Möglichkeit, sterben zu verstehen .

Diese Arbeit leisten zu können, setzt allerdings voraus, dass wir selbst mit dem Tod im reinen sind.

Die Arbeiten von Kübler-Ross zeigten einmal in pionierhafter Weise eine „Mechanik“ des Sterbens auf, mit der man einfach vorgehen kann, indem man die homöopathischen Mittel als Ausdruck einer Situation versteht:

Angst - Nichtwahrhaben wollen - Zorn – Verhandeln- Depression – Zustimmung – Hoffnung – Visionen.


So „schematisch“ geht’s nicht. Es scheint allerdings so zu sein, dass wir diese Phasen durchmachen. Aber jeder bestimmt die Reihenfolge selbst. Sterben ist genauso individuell, wie das ganze Leben war.

Oder, wie Rilke sagt: Oh Herr, gib jedem seinen eigenen Tod, ein Sterben, das aus diesem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und not.

Meine Erfahrungen an Sterbebetten haben mich gelehrt, dass es relativ einfach möglich ist, dem Sterbenden auch hier beizustehen mit dem Ziel: angstfrei, schmerzarm und bewusst zu sterben – lauter Begriffe, die in einer Intensiv-Medizin längst verloren gingen.

Die Homöopathie ist hier besonders hilfreich. Man könnte meinen, Religion, Gebete wären genauso richtig oder wichtiger. Ja – das stimmt.

Aber Religion ist für viele Menschen zu schwierig geworden. Wir haben keine spirituellen Zugang mehr zu unseren seelischen Wurzeln. Wir lebten mit innerer Kontrolle. Gefühle ungewohnter Art versetzten uns in Angst, und wir fragten nach einer „Gebrauchsanleitung“: wie soll ich damit umgehen? ist so ziemlich die häufigste Frage im zwischenmenschlichen Bereich. Wir trauern nicht, sondern leisten „Trauerarbeit“.

Die Homöopathie ist hier ein wunderbarer Vermittler. Wir brauchen nicht besonders spirituell zu sein, es genügt, aufmerksamer Betrachter zu bleiben.

Homöopathisch ist allerdings  ein wichtiges Detail anders, als im früheren Leben:
die Mittel wechseln schneller, die Symptome sind extrem gering. Aber umso aufmerksamer wir dabei sind, um so sicherer werden wir.


Und so ergibt sich, dass es „letzte“ Mittel gibt. Es scheint sich ein Kreis zu schließen, denn diese Mittel sind oft zugleich die „ersten“ Mittel in diesem Leben gewesen.


Der Angst des Neugeborenen, seinem Erleben von völlig fremder Umgebung mit ihrem Lärm, ihrer gleißenden Helle und ihrer Kälte, begegnen wir mit Aconit, um eine schnellere und leichtere Anpassung zu ermöglichen.

Und Aconit ist das sichere Mittel auf dem Sterbebett, wenn Angst  mit Kälte vorherrscht, die sich nicht beruhigen will. Wir sehen die Blässe beim Aufrichten bei sonst roten Gesicht und fühlen die oft eiskalten Hände bei heißem Kopf.

Wenn die Angst durch einfache Berührung und ruhige Worte zu beschwichtigen geht, dann sehen wir die Phosphor-Situation.

Müssen wir dann das Mittel geben? Ja, denn wir können unsere Hände und Worte nicht zurücklassen, wenn wir aus dem Zimmer gehen.

Wir erinnern uns immer wieder, was ein homöopathisches Mittel tut: es setzt immer wieder einen feinen Reiz, alle verfügbare Kraft optimal einzusetzen für den jeweiligen Prozess, sei es eine Entzündung, ein Fieber, oder die Schritte in der Geburt oder dem Tod.

Aber dieser Reiz ist nicht zu vergleichen mit Maßnahmen wir Morphium usw. Unsere Mittel geben dem Menschen die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie es weitergehen soll.
Und so kann es passieren, dass der scheinbar Todgeweihte sich auf sonderbare Weise erholt, einige Tage, Wochen oder Monate weiterlebt, um dann die letzte Reise erst anzutreten.

Unsere Mittel sind Entscheidungshilfen.

Immer wieder erinnern:
eine homöopathische Arznei beschreibt einen Zustand.

Z.B. der Arsenicum-album-Zustand: wenn wir  gehindert werden, mal eben aus dem Zimmer zu gehen, wenn wir in panische Augen sehen, und von verkrampften Fingern festgehalten werden, dann nehmen wir Arsenicum album wahr, die entsetzliche Todesnot.

Die Symptome werden immer weniger, weil ja das Leben immer weniger Äußerungen zeigt. Aber gerade dadurch wird es leicht, zu helfen.

Nehmen Sie das Beispiel einer alten Frau, Augen geschlossen, Atmung kurz und flach, sprechen ist schon lange nicht mehr: ein schwacher Handgriff an den Ausschnitt ihres schon weithalsigen Nachthemdes – die Abneigung von Enge am Hals lässt uns sofort mit Lachesis helfen. Und die Auskultation ergibt klinisch bestätigend eine absolute Arrhythmie.

Die Hände zupfen mit letzter Kraft überall an der Bettdecke herum, scheinbar ohne Sinn und Verstand.
Nur scheinbar.
Hier geschieht das, was ich „Dissoziation“ nenne. Alle Vorstellungen und Bilder zerlegen sich in Einzelteile. Der Mensch versucht irgendwie, die Teile wieder zusammenzubringen.

Und das Wahrnehmen des Zupfens lässt uns zu Hyoscyamus greifen, dem großen Mittel der Dissoziation, vergleich mit Bildern von Dali, in denen sich Körperteile selbstständig in gespenstischen Wetterlagen verteilen.

Diese wenigen Symptome zeigen beispielhaft das Wirken der Mittel: binnen Minuten werden Atmung und Hände ruhiger.

Warum das so wichtig ist? Weil Unruhe auf dem Sterbebett immer Ausdruck von Angst ist. Und mit Angst sind wir nicht mehr Herr über uns.

Auch wenn sich jeder „Phase“ bestimmte Arzneien/ Zustände zuordnen lassen: es sind immer die gleichen gegen Ende unseres Lebens –die gleichen, die sich  auch bei unserer Geburt zeigten: die Aconit-Angst, die Lachesis-Enge (durch die wir gingen), und das „Salz des Lebens“ Natrium muriaticum. Bei der Geburt hilft es uns zu erden – beim Sterben hilft es, diese Erdung aufgeben zu können.


Ich möchte mit diesem Beitrag allen Kollegen Mut machen. Es braucht Mut, aber wir werden hoch belohnt. Denn endlich sind wir selbst die Therapierten und leben mit entschieden weniger Angst weiter. Denn wovor sollen wir uns noch ängstigen, wenn wir den Tod weniger fürchten?

Wir können jederzeit in die Lage kommen, jemandem in dieser Weise beistehen zu müssen .

Und schließlich:
sogg. Erste Hilfe lernen wir ja auch - also auch "letzte"

Schluß-Anmerkung:
Ich habe mit Absicht hier nichts von Potenzen erwähnt. Im Finalstadium wirkt jede Potenz, die man da hat.